Dienstag, 7. Juni 2011

Wenn das Piepsen plötzlich aufhört....

Routine. Routine beschert einem die Gelegenheit akribisch zu arbeiten und dabei im Kopf ganz woanders zu sein...

Die Handgriffe sind automatisch, der Ablauf schematisch vorgegeben, man hangelt sich von Algorithmus zu Algorithmus und rattert konzentriert in seinem Kopf ab, was als nächstes zu tun ist.

Leute die so etwas von Außen als Betrachter beobachten können dies oft nicht nachvollziehen, zu schockierend ist das Bild, dass sich dort gerade bietet, niemand kann sich vorstellen, was für eine Ruhe in meinem Kopf in diesem Moment herrscht.




20 Minuten früher...

Eine starre Bronchoskopie, Routineeingriff, oft genug schon gemacht, im Prinzip mit geringen Risiken verbunden. Ich ziehe meinen Kittel aus und betrete im blauen Schlumpfenkostüm der Anästhesisten den Raum. Ein kurzes Grinsen und ein freundliches Hallo zu den Schwestern, die alles vorbereiten. Die Patientin liegt bereits vor mir auf der Liege, ich begrüße sie, stelle mich vor und lege ihr einen Zugang. Währenddessen erkläre ich ihr, welche Medikamente sie gleich von mir bekommt und wie sich das für sie anfühlen wird.
Die meisten Patienten, die in der denkbar unegwohntesten Situation ihres Lebens sind, beruhigt es ungemein, wenn man ihnen zwischen all den piepsenden Geräten und Instrumenten erklärt, was mit ihnen passiert, ich sehe das als Selbstverständlichkeit.

Ich ziehe meinen Mundschutz an und stelle mich an ihren Kopf mit der Beatmungsmaske, reiner Sauerstoff fließt durch sie um ihre Lunge damit aufzusättigen. Parallel erhält sie über den Zugang ein Schmerzmittel, danach langsam das Narkosemittel, wie selbstverständlich teile ich ihr jeden dieser Schritte mit.

Die Augen werden langsam schwer und im fließenden Übergang zur Narkose beginne ich die Maske fest aufzusetzen und sie zu "beuteln", per Hand zu beatmen. Alles läuft ohne Komplikationen, der Eingriff kann beginnen, ich räume das Feld für den Pneumologen und setze mich mit meinem Kollegen neben das Gerät, dass mir Puls, Blutdruck, Sauerstoffsättigung und EKG anzeigt und beginne mein Protokoll zu schreiben.


Hier beginnt eigentlich der Moment des Wartens, die kritischen Momente eines Eingriffs sind Beginn und Ende, "hours of boredom, minutes of thrill, seconds of horror", ein altes und weises Sprichwort unter Anästhesisten.

Die "minutes of thrill" setzen schleichend ein, wir beobachten wie die Sättigung der Patientin langsam aber stetig sinkt,

96%.....87%..........78%.......

Wir stehen auf, mein Kollege fragt ob es Probleme gibt, ich gehe im Kopf nervös die vielen Möglichkeiten durch, die hierfür verantwortlich sein können.

72%.........68%........

Ab hier ist uns klar was jetzt zu tun ist, der Grund ist nicht mehr Ziel unserer Gedankengänge, alle Zeichen stehen auf Lebensgefahr, die Reanimationsrhythmen springen in den Kopf.

62%.....58%.......50%.....

Mein erfahrener Kollege geht an den Kopf der Patientin, eine Intubation ist Ziel seines Wirkens, denn wir müssen die Patientin wieder ausreichend mit Sauerstoff versorgen, ich begebe mich an ihre Flanke und starre auf den Monitor, denn ein Piepsen erregt unsere Aufmerksamkeit.

Nulllinie, Herzstillstand, Asystolie.....

Es geht los, ich fange an mit der Herzmassage, mein Kollege arbeitet an der Intubation und bittet die Anästhesieschwester mit ruhiger Stimme Adrenalin aufzuziehen und zu verabreichen.
Während ich reanimiere und um mich rum hektisches Treiben herrscht ist in meinem Kopf eine unheimliche Stille, ich bin völlig fokussiert auf das, was ich tue und was noch zu tun ist. Fast wie in einer Art Trance funktioniere ich und spule alle nötigen Schritte ab.

Adrenalin 1mg i.v., bei Ausbleiben von Pulsaktionen 3 mg Atropin i.v., ständige Kontrolle auf dem Monitor ob wieder ein Rhythmus eintritt, falls ja Defibrillation, falls eine Arrythmie erreicht wird 300 mg Amiodaron i.v. um die Arrythmie in einen Sinusrhytmus zu verwandeln....

Während wir reanimieren eilt der Oberarzt hinzu und macht sich ein Bild von der Lage.
Eine Intubation ist nicht möglich, höre ich mit einem Ohr, die Luftröhre ist gerissen. Ich drücke weiter.
Wie durch einen kalten Sprung ins Wasser werde ich aus meiner Arbeit gerissen als der Oberarzt mir seine Hand an den Oberarm legt, ich schaue ihn an und er sagt mir in einem ruhigen Ton, dass ich aufhören kann. Ich sehe ihn mehrere Sekunden an, nicht mit nassen Augen, auch nicht wütend oder fassungslos, ich brauche einfach diese paar Sekunden um diese paar Worte und deren unmittelbare Konsequenz zu begreifen.
Ich trete zurück, ziehe meine Handschuhe aus, blicke noch einmal auf das Bild, dass der Raum mir bietet und weiß nicht was ich sagen soll, nicht einmal was ich denken soll.
Eine der Schwestern fängt an zu weinen, ansonsten hört man nicht viel.

Ich gehe in den Nebenraum mit meinem Kollegen und setze mich. Mein erster Gedanke ist: Ich bin kaputt, was mir wie "seconds of horror" vorkamen, waren gut und gerne 30 Minuten. Man ist in dieser Übergangsphase von der absoluten Ausnahmesituation zum Alltag, ähnlich wie die Patienten vor der OP. Es fühlt sich an, wie wenn man nicht weiß ob man laufen oder gehen soll. Man diskutiert, ist sich einschlägig einig, das alles versucht wurde und man auch korrekt gearbeitet hat, trotzdem weiß ich immer noch nicht ob ich laufen oder gehen will.
Mit einem Mal legt sich ein Schalter um und ich sage mir selbst, dass ich niemandem helfe indem ich tatenlos bin. Weiter geht es, denn es sind gerade mal 10 Uhr morgens und der Dienst ist noch lang. 

Im Nachhinein war klar, dass wir keine Chance hatten, niemand hat einen Fehler gemacht und kein Versuch wurde unterlassen um das Leben zu retten, um welches wir diese halbe Stunde kämpften.

Viele fragen sich, wie man damit umgeht, was Möglichkeiten sind, damit abzuschließen. Zum einen ist es die Gewissheit alles getan zu haben was möglich und nötig war. Die andere Möglichkeit:

Routine. Routine beschert einem die Gelegenheit akribisch zu arbeiten und dabei im Kopf ganz woanders zu sein....

1 Kommentar:

  1. deeper shit ich enthalte mich mal meines üblichen sarkastischen kommentars

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