Dienstag, 12. Juli 2011

Die Gedanken waren frei....

1. Rufer: Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung! Ich übergebe der Flamme die Schriften  von Marx und Kautsky.
 
Feuer!
Feuer hat etwas endgültiges. Es ist zugleich reinigend wie vernichtend. Meist ist es die Intention die aus einem romantischen Lagerfeuer einen Scheiterhaufen der Vernichtung macht.

Ein Volk stirbt, wenn es sich Wissen und Kultur verschließt.
Bücher sind der Schlüssel zu diesen Werten, die universal gelten.



Während ich so in Gedanken verloren auf dem Opernplatz stehe beginnen Marx und Kautsky lichterloh zu brennen. Ihre Schriften sind an diesem 10.Mai 1933 der leuchtende Beweis der wahren Intentionen der Nationalsozialisten.

 Die Ironie des Feuerspruchs verletzt tief, denn seit längerem ist schon bekannt, dass die "Volksgemeinschaft", die hier propagiert wird eine Ausschlußgesellschaft ist.
Die Kriterien , die sie für sich beansprucht sind antisemitisch, unmenschlich und grausam. Das angestrebte Ideal wird mit aller Härte durchgesetzt und Außenstehende wie ich werden von ihnen überrollt wie von einer Lokomotive.

2. Rufer: Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.




  
Bundesarchiv,Bild 102-14597/unbekannt /CC-BY-SA
Mit der "Herzogin von Assy" reiste ich und viele andere quer durch die Welt, sehnte mich nach denselben Freiheiten und identifizierte mich mit ihren Idealen. Nun brennt die Herzogin mit ihrem geistigen Vater Heinrich Mann im Feuer der Intoleranz, ihre Freiheit ist in dem Deutschland dieser Tage tabu.
Erich Kästners "Pünktchen und Anton" oder "Emil mit seinen Detektiven" wurden aus ihrer Heimat, den Biliotheken, Universitäten und Haushalten verbannt, zusammengetrieben und mit all den anderen wunderbaren Gestalten unserer Phantasiewelt vernichtet.
Mir dreht sich der Magen, wenn ich bedenke, dass ein Großteil meiner Kindheit hier und heute abend den Feuertod erleiden muss, wie können solch magische Geschichten etwas verwerfliches darstellen?

3. Rufer: Gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat, für Hingabe an Volk und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Friedrich 
Wilhelm Foerster.



Doch sind es nicht nur die Phantasiegestalten, die hier sterben, mit ihnen geht auch das unter wofür sie stehen: Freiheit, Gleichheit und das Recht auf einen ordentlichen Prozess. Es herrscht Narrenfreiheit und Willkür und wir müssen zusehen wie es mit jedem Tag schlimmer wird.Vor einigen Wochen fragte mein Sohn mich: "Papa warum hassen diese Menschen uns so sehr? Bin ich nicht Deutscher genau wie sie? Sie sagen mir ich wäre anders, doch ich verstehe es nicht. Kannst du es mir erklären?"
Ich konnte es nicht und ich kann es noch immer nicht, denn ich begreife es genau so wenig.

4. Rufer: Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Sigmund Freud.


Denkmal an die Bücherverbrennung am Bebelsplatz, Berlin
Ich sehe den jungen Mann an, der da im Scheinwerferlich mit seiner Armbinde steht und diese "Feuersprüche" in die Nacht ruft. Er mag vielleicht 20 Jahre alt sein. Als ich so alt war wie er dachte ich, die Welt läge mir zu Füßen. Seine Augen flackern im Licht des Feuers und er schreit seine Intoleranz mit voller Kraftund Inbrunst in die Nacht. Die Menge tobt, begeistert heben sie ihre Arme zum Gruß und reichen die Bücher nach vorne.
Viele lachen, ihre Blicke haben etwas schelmisches, fast so als ob das Martinsfeuer brenne, dabei könnte diese Situation doch nicht ernster sein.



5. Rufer: Gegen Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten, für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Emil Ludwig und Werner Hegemann. 

Ich frage mich, wie man mit so jungen Jahren einen so gefestigten Hass in sich tragen kann. Einen Hass, denn die Leute, die er trifft nicht einmal begreifen können. In den Anfängen all dieser Entwicklungen hat man Hitler noch belächelt, ihn für einen Hund gehalten, denn man schon in Zaum halten könne. Und nur wenige Jahre später verhalten sich diese Menschen, als ob sie seit Beginn der Zeit seine Hasstiraden verinnerlicht hätten.

6. Rufer: Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung für verantwortungsbewusste Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Theodor Wolff und Georg Bernhard.



Mit Eifer reichen sie in Menschenketten die Bücher weiter. Die meisten werden sie nie gelesen haben und lediglich an das glauben, was man ihnen lang genug vorgepredigt hat.
Man kann nicht kritisieren, was man nicht verstanden hat, doch Kritik ist Schall und Rauch in diesen Tagen. Die wenigen Mutigen, die sie aussprechen sind längst geflohen oder verschwunden. Das Regimé steht fast tadellos da, denn die Folterkeller der SA sind tief und für die Öffentlichkeit unsichtbar.





7. Rufer: Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque.


Das Feuer hat etwas von einem Neubeginn. Man verabschiedet sich von Vergangenem und blickt in die ungewisse Zukunft.Es ist ein Abschied!

Denn die Bücher, die man heute verbrennt sind symbolisch für den Hass, den man gegen Menschen wie mich hat.

8. Rufer: Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache, für Pflege des kostbarsten Gutes unseres Volkes! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Alfred Kerr.


Eine Stimme fragt leise in meinem Kopf warum ich eigentlich noch hier stehe. Warum ich weiter hinsehe.
Ich glaube es ist der Versuch das Unfassbare irgendwie fassbar zu machen. Ich redete mir ein, dass es alles nur eine Phase sei, die bald vorüber sei. Eine Laune der Zeit, die ebenso schnell verschwindet wie sie auftauchte.
Ich verdrängte den Gedanken, dass ich in dem Land, in dem ich groß geworden bin und das ich meine Heimat nenne nicht länger erwünscht bin. Innerhalb weniger Jahre wurde ich ohne es zu wissen ausgebürgert aus Gründen die eigentlich niemand wirklich kennt oder erklären kann.





 
9. Rufer: Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!


Das Spektakel ist vorbei, an mir marschieren SS und SA singend vorbei, während sie frenetisch bejubelt werden. Die Inzenierung war perfekt, das Volk frißt ihnen aus der Hand.

Ich bleibe allein stehen und sehe zu, wie die Scheinwerfer nacheinander abgeschaltet werden und der Opernplatz in der Nacht verschwindet. Vor mir ist nichts außer einem noch glühenden Haufen Asche.
Ich trete an ihn heran und spüre die Hitze, die er noch von sich gibt. Ich bleibe noch eine ganze Weile und spüre, wie die Glut nach und nach den Kampf gegen den Regen verliert und die Hitze, die sie ausstrahlt langsam dahinschwindet.
Ich habe das Gefühl einem sterbenden Freund beizustehen, ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Eine einsame Träne tropft mir vom Gesicht und versiegt zischend in der Glut. Ich sehe auf und bin allein.
Ich drehe mich um und gehe ohne mich noch einmal umzusehen.
Die Botschaft ist angekommen, unmissverständlich und eindeutig.

Heute abend werde ich zum letzten Mal nach Hause zu meiner Familie gehen. Ab morgen früh ist unsere bisherige Heimat ein fremder Ort für uns. Ein Ort den wir morgen früh verlassen werden.

Vernunft und Verstand sind den Feuertod gestorben, ich hoffe zutiefst, dass ich sie eines Tages wiedersehen werde.






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