Freitag, 21. Oktober 2011

Gaddafi und der Tod der Ethik

Aristoteles, Begründer der Ethik
Es ist schon seltsam, aber bis vor wenigen Jahren waren Live Ticker noch Fußballspielen vorbehalten, die nicht übertragen wurden oder nur auf Pay-Tv Sendern zu sehen waren.

Seit neuestem ist es wohl ein Trend, so ziemlich jedes Weltereignis im Live Ticker verfolgen zu können, sei es die Entwicklung der Finanzkrise, Minenunglücke in Chile oder die brutale Meucheljagd auf Menschen.

Ich halte hier gerade die aktuelle Ausgabe der Bild Zeitung in der Hand, ich musste sie mitnehmen, da ich nicht fassen konnte, was ich darauf zu sehen bekam.
Auf der Titelseite schaut mich das blutverschmierte Gesicht der Leiche von Muammar al-Gaddafi an, es füllt mehr als die Hälfte der Seite auf. Zu erkennen ist für mich ein Mensch, der aufs schwerste misshandelt wurde und für den der Tod nicht mehr oder weniger als eine Erlösung war.
Dem geneigten Bildleser präsentiert man dann noch auf der folgenden Seite 2 weitere Bilder der Leiche inklusive Close Up der Schmauchspuren  an seiner Schläfe, die die Diskussionen ob er exekutiert wurde oder nicht somit auch schlagartig beenden.


Viele würden jetzt behaupten, dass das wenn auch geschmackslos nicht weiter verwunderlich für ein Boulevardblatt solchen Kalibers ist, doch auch auf den Internetseiten der Möchtegern-Seriös-Blätter findet man eben jene Bilder (darunter Bild, Express, Spiegel, Stern, Focus und noch viele mehr).
Rebellentruppen, die als wütender Mob um ihn versammelt sind, ein blutüberströmter Gaddafi, der schützend seine Hände vor den Kopf hält und von allen Seiten verprügelt und beschimpft wird und zum krönenden AbschlußTrophäenbilder mit seinem Leichnahm, die wir in ähnlicher Form schon auf Abu-Ghuraib zu sehen bekamen, nur das diese Bilder damals einen Skandal auslösten .
Soldat Charles Graner posiert neben einem toten Gefangenen im Abu-Ghuraib Gefängnis
Sämtliche Berichte, die fast minutiös seine Hinrichtung durch den wütenden Mob dokumentieren sind gefüllt mit Worten wie "angeblich", "Berichten zufolge", "Augenzeugen berichten" und "sicheren Quellen zufolge", allesamt Zeichen von seriösem faktenbasiertem Journalismus
(Hier können sie der Ironie bitte freien Lauf lassen Anm. d. Verf.)


Ich will gar nicht erst auf die Pietätlosigkeit und Falschheit all dieser Blätter eingehen, für mich ist dies nur ein weiteres Zeichen, dass eben nicht nur die schmierigen Verleger dieser Boulevardblätter, sondern ein Großteil derer, die für diese Blätter schreiben, vergessen haben, was es bedeutet Journalist zu sein.

Ich zitiere hier einmal eine Stelle aus dem Pressekodex, der jedem frei zugänglich ist und sich prinzipiell selbst erklärt in großen Teilen:

Ziffer 11 – Sensationsberichterstattung, Jugendschutz

Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt,
Brutalität und Leid. Die Presse beachtet den Jugendschutz.

Richtlinie 11.1 – Unangemessene Darstellung
Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch
zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird. Dies ist insbesondere dann der
Fall, wenn über einen sterbenden oder körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer
über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausgehenden Art
und Weise berichtet wird.
Bei der Platzierung bildlicher Darstellungen von Gewalttaten und Unglücksfällen auf
Titelseiten beachtet die Presse die möglichen Wirkungen auf Kinder und Jugendliche.

Richtlinie 11.2 – Berichterstattung über Gewalttaten
Bei der Berichterstattung über Gewalttaten, auch angedrohte, wägt die Presse das
Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen
sorgsam ab. Sie berichtet über diese Vorgänge unabhängig und authentisch, lässt sich aber
dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen. Sie unternimmt keine eigenmächtigen
Vermittlungsversuche zwischen Verbrechern und Polizei.
Interviews mit Tätern während des Tatgeschehens darf es nicht geben.


Für den geneigten Leser wird hier schnell klar, dass es nicht ein Wort in der enthaltenen Ziffer des Pressekodex gibt, gegen das in diesem Zusammenhang nicht verstoßen wurde.

Es ist für mich eine Unfassbarkeit was sich seit einigen Jahren ganz klar abzeichnet und mit einer der Gründe war, warum ich überhaupt mit diesem Projekt hier begann.
Die Berichterstattung im eigentlichen journalistischen Sinne stirbt, sie stirbt seit mehreren Jahren, nur eben nicht genau so bildlich vor unseren Augen, wie es Gaddafi gestern und heute getan hat.

Die Schlagzeilen und Themen dieser Tage sind an Pietätlosigkeit kaum mehr zu übertreffen und es bleibt fraglich, wieviel mehr uns diese Bilddokumentation einer öffentlichen Hinrichtung bringt als der einfache Fakt, dass der Mann ermordet wurde.

Natürlich werden viele Stimmen laut werden und behaupten, dass erst durch diese Dokumentation eine Diskussion über Ethik im Journalismus angetreten wird und somit zu einem Wendepunkt werden kann.
Nun für diese Menschen habe ich passenderweise einen WAKE UP CALL:

Liebe Befürworter dieses beschissenen Plakativ-Journalismus, ich muss euch leider aus eurem Traumland herausholen, denn es wird sich kein bißchen was ändern.
Lynchmorde gab es schon immer und wird es immer geben, neu ist hingegen die Sensationsgeilheit und das "Über-Bord-werfen der Ethik" zugunsten der marktwirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit.
Ethische Grundsätze, was Berichterstattung angeht gibt es schon länger als euch und mich zusammen und den gesunden Menschenverstand kann man zumindest bis zum heutigen Tag für umsonst und sehr effektiv einsetzen.
Die Entwicklungskurve folgt einem Trend, den ich nicht verstehen will und werde.

Nichts, aber auch gar nichts rechtfertigt Menschen zu einer so unmenschlichen Schändung eines Individuums und seiner daraus entstehenden Leiche, hier dürfen sich die Rebellen, ebenso wie die berichterstattenden Blätter angesprochen fühlen.
Da nützt es auch wenig, dass die Übergangsregierung der Rebellen verkündet, Gaddafi gemäß Tradition innerhalb von 24 Stunden zu beerdigen, eine ähnlich traditionsreiche Hinrichtung hat uns ja die US Regierung mit Bin Laden schon vorgemacht, entsprechend prognostiziere ich der Rebellenregierung eine blühende demokratische Zukunft, bei solchen Vorbildern.

Es gibt nicht mehr dazu zu sagen, denn ich bin sprachlos über soviel Falschheit und Verdorbenheit. Für mich starb gestern nicht ein Tyrann, wenn überhaupt wurde er ermordet, kaltblütig.
Die Art und Weise wie das geschehen ist zeigt uns, dass die Bestie der Unvernunft nicht im Dikator sondern in der ganzen Menschheit steckt.

Das einzige was gestern still und leise, für viele ungesehen und undokumentiert starb, ist für mich die Ethik der Presse und mein Glauben an diese.


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