Sonntag, 3. März 2013

Review: Super Columbine Massacre RPG

20.April 1999 Columbine High School, Denver Littleton

Eric Harris und Dylan Klebold
Eric Harris (18) und Dylan Klebold (17) betreten um 11:18 Uhr, bewaffnet mit Pumpguns, halbautomatischen Feuerwaffen und Rohrbomben ihre Schule und töten 13 Menschen, verletzen 24 und richten sich anschließend selbst hin.
Der Tag wird allgemein als Columbine Massaker jedem Menschen ein Begriff werden.

Debatten werden (wie nach jeder dieser Taten) losgetreten. Hier soll es satanische Musik von Slipknot und Marilyn Manson gewesen sein, die die beiden animierte in ihrer Schule ein Blutbad anzurichten.


Nach diversen anderen Amokläufen (darunter der von Robert S. am 26.April 2002 am Gutenberg Gymnasium) ist ein neuer Schuldiger gefunden, die Computerspiele sind jetzt nämlich an allem Schuld, Counterstrike ist der neue Übeltäter und die Presse lässt einen Shitstorm an (absichtlich) falsch recherchierten Behauptungen auf die PC Spieler herabregnen und prägt den Begriff Killerspiel.


Ein simpler und ebenso verblüffender Fakt, nämlich dass jeder einzelne der Amokläufer einfachen Zugang zu ausreichend Waffen und Munition hatte und ohne größere Probleme ebenjene an sich bringen konnte, war verblüffenderweise selten bis nie Thema der Diskussion geworden.
Auch der Fakt, dass all die begeisterten Risikospieler bis heute eher selten zu strategischen Weltkriegen aufrufen bleibt einer sinnhaften Erörterung der Ursachen erspart.

Doch ich will hier nicht auf Lösungsansätze und tiefere Ursachenforschung eingehen, dass wurde in anderer Art und Weise umfassend und sicherlich versierter bereits betrieben.

Ich will mich mit diesem Artikel mit einer extrem kontroversen Herangehendsweise an das Thema Amoklauf beschäftigen, die auf den ersten Blick einfach nur provozierend und grotesk wird, dem detaillierten Betrachter aber interessante Informationen offenbart. Die Entscheidung, ob dies vertretbar ist muss jeder für sich selbst entscheiden, Kunst spielt sich schließlich auch im Kopf des einzelnen Betrachters ab.

Die Rede ist vom:

Titelbild des Spiels und zugleich die Videoaufzeichnung des Amoklaufs

Das Super Columbine Massacre RPG (kurz SCMRPG) ist ein 2005 von Daniel Ledonne erschaffenes Rollenspiel, dass ebenjenen Amoklauf thematisiert und den Spieler in die Rollen von Eric Harris und Dylan Klebold versetzt. Über 80 Prozent, der Dialoge, die im Spiel verwendet werden sind original Zitate der beiden aus deren "Basement Tapes", Tagebüchern und PC Einträgen.
 (Der gesetzte Link verweist auf eine Seite, die tiefe Einblicke in die Hintergründe der beiden zulässt, man findet hier Tagebucheinträge, Skripte der Videoaufnahmen, Schulessays und noch vieles mehr)

Bevor man hier ins Detail geht, ist eigentlich jetzt schon klar, warum das Spiel eine hitzige Diskussion auslöste. Denn auf den ersten Blick handelt es sich hier um das Werk eines Menschen, der die pure Provokation sucht und sich wenig Gedanken um die Umstände und Konsequenzen eines solchen Spieles macht.
Doch mit einer solchen Argumentation macht man es sich zu einfach, SCMRPG ist kein Meilenstein, keine revolutionäre Aufarbeitung und mit Sicherheit ein kontrovers zu diskutierender Ansatz, es bleibt aber dennoch ein interessanter, wie sich im Verlauf zeigen wird.
Wichtig ist vielleicht noch zu erwähnen, dass das Spiel nie kommerziell vermarktet wurde, es war ein Projekt für das Slamdance Film Festival 2007, kurz vor dem Wettbewerb wurde Ledonne die Teilnahme allerdings verweigert, 6, der 14 Teilnehmer zogen daraufhin aus Protest ihre Inhalte ebenfalls zurück.
Doch nun zum eigentlichen Spiel

Es beginnt mit einem Zitat:

 Zu deutsch und vervollständigt:

André Breton
 "Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings soviel wie möglich in die Menge zu schießen. wer nicht wenigstens einmal im Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden elenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen, der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst ständig in Schußhöhe."

Auf den ersten Blick ein plumpes Zitat, dass zugleich provokanter nicht sein könnte, weil es im Kern beschreibt, was uns erwartet, denn nichts anderes haben Harris und Klebold gemacht, wahrlos Menschen erschossen.
Doch geht man ins Detail und schlägt nach, wer André Breton eigentlich war, so wird man schnell herausfinden, dass er einer der bedeutendsten Theoretiker des Surrealismus war.

„Im Jahre 1919 hatte sich mein Augenmerk auf die mehr oder weniger unvollständigen Sätze gerichtet, die bei völliger Einsamkeit und herannahendem Schlaf dem Geist wahrnehmbar werden, ohne dass es möglich wäre, eine vorherige Bestimmung in ihnen zu entdecken.“

Surrealismus bezeichnet allgemein betrachtet Dinge, die uns "surreal", also "über dem Realismus" erscheinen, traumhaft im Sinne von unwirklich.

Somit wird schnell klar, dass das Zitat nicht treffender sein könnte, denn wie wir im Verlauf sehen werden wirkt nicht nur der Amoklauf selbst und seine zugrundeliegenden Ursachen surreal auf uns als Betrachter, auch das Weltbild und die Ambitionen von Harris und Klebold ist ebenso unwirklich. Der Surrealismus ist der rote Faden, der sich durch die gesamte Thematik und auch das Spiel selber zieht.


 "It's a weird feeling knowing you're going to be dead in two and a half weeks." Eric Harris


"About 26.5 hours from now the judgement will begin. Difficult but not impossible, necessary, nervewracking & fun. What fun is life without a little death? It's interesting, when i'm in my human form, knowing i'm going to die. Everything has a touch of triviality to it."  Dylan Klebold
 


Das Spiel beginnt in Eric Harris Zimmer, es ist der Morgen des 20.Aprils 1999, der Tag des Amoklaufs. Harris findet neben seinem Bett eine Packung Luvox, ein Antidepressivum, welches mit der Grund war, warum er nicht bei den Marines angenommen wurde und macht gleich klar, dass die Leben der beiden Protagonisten alles andere als geregelt abliefen.
Er telefoniert mit Klebold und beide treffen sich im Keller von Harris, hier liegt auf dem Schrank auch eine Marilyn Manson CD:


Hier spielt Ledonne auf die nach dem Amoklauf begonnene Diskussion an, Manson´s Musik wäre der Auslöser, was Harris zumindest im Spiel auch erwartet:


"There is nothing you guys could have done to prevent any of this. There is nothing that anyone could have done to prevent this. No one is to blame except me and Vodka. Our actions are a two man war against everyone else." Eric Harris

Marilyn Manson selber sagte aus Respekt vor den Opfern und aufgrund von Protesten 5 seiner Konzerte ab, vielerorts machten sich Protestgruppen mobil, die Manson als das personifizierte Böse darstellten und ihm gerne die Schuld für all das in die Schuhe schieben wollten.
Manson selber dazu:



Bild von Georges Biard
"What would you say to the Kids of columbine, if they were here right now...?"
"I wouldn´t say a single word, I would listen to what they had to say and that´s what no one did" Marilyn Manson

"Man's greatest fear is chaos. It was unthinkable that these kids did not have a simple black-and-white reason for their actions. And so a scapegoat was needed. I remember hearing the initial reports from Littleton, that Harris and Klebold were wearing makeup and were dressed like Marilyn Manson, whom they obviously must worship, since they were dressed in black. Of course, speculation snowballed into making me the poster boy for everything that is bad in the world. These two idiots weren't wearing makeup, and they weren't dressed like me or like goths. Since Middle America has not heard of the music they did listen to (KMFDM and Rammstein, among others), the media picked something they thought was similar."  Marilyn Manson

 Nach einigen Vorbereitungen begeben sich Harris und Klebold zu dem Fernseher und der Videokamera im Keller um eine letzte Aufnahme, etwa eine halbe Stunde vor dem Amoklauf zumachen.


Sie werden auch ganz konkret, was ihre Beziehung zu bestimmten Klassenkameraden angeht


Dylan: "I don't like you, Rachel and Jen, you're stuck up little bitches, you're fucking little.. Christian, Godly little whores!" Eric: "Yeah.. 'I love Jesus! I love Jesus!' -- shut the fuck up!" Dylan: "What would Jesus do? What the fuck would I do..?" (he acts like he's shooting the camera with his hand, with sound to accompany it) Eric: "I would shoot you in the motherfucking head! Go Romans! Thank God they crucified that asshole."




Wieder bestimmt Surrealismus die dargestellte Szene, den zum einen entschuldigt sich Harris bei seinen Eltern für die Dinge, die er an diesem Tag noch tun wird, zugleich äußern die beiden unmissverständlich ihr Ziel:


  
 Nochmal: Beide hier gezeigten Aussagen sind Original Zitate der beiden und keine Erfindung des Spiels.

Es geht gar nicht anders, als diese absoluten Wiedersprüche der Liebe zu den eigenen Eltern und der Gleichgültigkeit gegenüber den Mitschülern als unwirklich zu beschreiben. Das Anfangszitat gibt weiter den roten Faden.

Nach den Aufnahmen begeben sich die beiden zur Schule. Ab hier funktioniert das Spiel wie ein altbekanntes Rollenspiel, allein dieser Fakt, dass das Massaker selber wie ein simples Rundenstrategiespiel abläuft ist wiederum mehr als surreal, die fast niedliche Grafik tut ihr übriges um das alles unwirklich erscheinen zu lassen.

Auf dem Weg durch die Schule findet man bestimmte Klassenräume, in denen die zwei in Rückblenden verfallen. Im Filmraum der Schule erinnern sie sich an den Film Apokalypse Now und Marlon Brando´s Monolog am Ende des Films wird gezeigt.


Apokalypse Now ist, als Erklärung für die Nichtkenner dieses Meisterwerks, ein Antikriegsfilm, der die Grausamkeit und Sinnhaftigkeit des Vietnamkrieges anprangert. Allerdings geschehen in dem Film selber ständig Dinge, die man wieder nur als surreal beschreiben kann. Marlon Brando spielt hier den abtrünnigen Colonel Walter E. Kurtz, der sich mitten im Dschungel des Nachbarlandes Kambodscha seine eigene kleine Welt aufgebaut hat. Kurtz selber ist am Krieg zerbrochen und der geführte Monolog zeigt dies auch eindrucksvoll:


I've seen horrors... horrors that you've seen. But you have no right to call me a murderer. 
You have a right to kill me. You have a right to do that... but you have no right to judge me. 

It's impossible for words to describe what is necessary to those who do not know what horror means. Horror... Horror has a face... and you must make a friend of horror. Horror and moral terror are your friends. If they are not, then they are enemies to be feared. They are truly enemies! 
 [...]
I... I... I cried, I wept like some grandmother. I wanted to tear my teeth out; I didn't know what I wanted to do! And I want to remember it. I never want to forget it... I never want to forget. 
And then I realized... like I was shot... like I was shot with a diamond... a diamond bullet right through my forehead. And I thought, my God... the genius of that! The genius! The will to do that! Perfect, genuine, complete, crystalline, pure. 
[...]
 You have to have men who are moral... and at the same time who are able to utilize their primordial instincts to kill without feeling... without passion... without judgment... without judgment! Because it's judgment that defeats us. 



Ein sehr passendes Zitat, sind die zwei Jungs, die an diesem Tag ihr Leben auf so schreckliche und grundlegende Art verändern ähnlich abgekapselt von ihrer Außenwelt wie Colonel Kurtz.

Nachem sich die zwei in der Bibliothek verschanzt haben und ihnen klar wird, dass ihre Situation auswegslos ist, begehen sie Selbstmord, ebenjener geschieht im Off und wird nicht gezeigt.

Das Spiel führt sich hiernach noch fort, jedoch ist der weitere Fortlauf nicht erwähnenswert, er ist weder tiefgründig noch für diese Abhandlung hier interessant.

Was für einen Schluß kann man also aus all dem ziehen?

Ich für mich selber muss gestehen, dass mich das Spiel nicht unterhalten hat, eben das ist aber nicht schlimm, da ich das weder erwartet habe, noch für richtig halte.
Jedoch hat es mich zum nachdenken gebracht, dazu Zitate nachzuschlagen, dazu mich näher mit Kleybold und Harris zu beschäftigen.

Trotz allem bleibt weiterhin die berechtigte Frage im Raum, ob man sowas darf, ob sowas sein muss und inwieweit man einen solchen Ansatz als Kunst ansehen darf.

Meiner Meinung nach sind kontroverse Themen wie Tragödien schon immer thematisiert worden, man zähle nur allein all die Kriegsfilme, den Untergang der Titanic, die Angriffe auf das World Trade Center oder die Ermordung von Osama bin Laden, zu all diesen Themen gibt es Kinoformate, mit denen gutes Geld verdient wurde.
Abgesehem vom finanziellen Aspekt macht hier das Super Columbine Massacre RPG nichts anders, außer, dass hiermit kein Geld verdient wurde.

Was ist aber mit der Tatsache, dass wir als Spieler die Rolle der 2 Jungs übernehmen, die für all das verantwortlich waren? 

Sicherlich gäbe es andere und auch bessere Möglichkeiten sich dem Thema zu nähren, verwerflich ist die Herangehensweise dennoch nicht.

Brachte uns Der Untergang von Oliver Hirschbiegel Hitler auch nicht näher als manch einem von uns lieb war? Oft laß man hierzu in der Presse der Film zeigte Hitler als Mensch und nicht als Monster, für viele ein Anstoß der Kritik.

Seine Taten waren monströs, keine Frage, doch im Kern war er ein Mensch.

Oft wird nach Tragödien eines gewissen Ausmaßes ein Mensch, der ebenjene verursachte sprichwörtlich "verteufelt" oder als "Monster" bezeichnet, dabei lenkt diese Terminierung doch von der essentiellen Tatsache ab, dass Menschen für diese Taten verantwortlich waren. 

Wieder sind wir beim Thema Surrealismus, wir sind überwältigt von der Schrecklichkeit bestimmter Taten und legen unsere Wortwahl oft ganz unbewusst in den Bereich der surrealen Beschreibung.

"Unfassbar"
"Nicht in Worte zu fassen"
"Unglaublich"
"Nicht zu begreifen"
"Unmöglich"

Schlussendlich bleibt der Ansatz vom Erschaffer Daniel Ledonne kritisch zu diskutieren.
Sicherlich kann man auch zu viel Tiefsinnigkeit in das Spiel hereininterpretieren, was ich hier vielleicht unterbewusst gemacht habe.
Sicherlich gibt es auch viele Menschen, die eine derartige Thematisierung eines Amoklaufs kategorisch ablehnen, die Gründe hierfür mögen sich unterscheiden, sie spielen aber keine Rolle, denn es ist jedermanns gutes Recht sich sein eigenes Bild hierüber zu machen.

Sicherlich hätte man das auch alles anders angehen, darstellen und präsentieren können und hiermit schließe ich auch mit einem abschließendem Zitat aus dem Spiel, dass genau das alles passend zusammenfasst:



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