Dienstag, 22. März 2011

Das 11. Gebot: Du sollst Skinheads nicht mit Nazis verwechseln!!

"When a skinhead walks down the street, every chick heart skips a beat" (Laurel Aitken - Skinhead)

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England, London.
Ich begebe mich in eine für London typische Bar, der Raum ist recht dunkel, überall Holzvertäfelungen. Die abgeschotteten Ecktische sind gut besetzt und das recht durchmischte Publikum genießt sein Bier bei klassischem Smalltalk. Es ist ungefähr 3 Uhr Nachmittags und die im Hintergrund laufende Ska-Musik spiegelt die Hektik wieder, die der London-Traffic bei mir hinterlassen hat. Entnervt nehme ich an der Theke Platz, zünde mir die 10. Zigarette für heute an und bestelle beim Barkeeper ein kaltes Stout. Mit dem ersten Schluck spüle ich den Smog herunter, mit dem zweiten meine schlechte Laune.
Ich warte ungefähr 3 Kippen und 2 Bier, dann kommt die Person, mit der ich mich eigentlich vor 20 Minuten hier hätte treffen sollen. Ich habe ihn nie zuvor gesehen und doch erkenne ich ihn sofort: Glatze, jedoch kein kahlrasierter Schädel, eine hellblaue Bomberjacke der Marke Alpha Industries, dazu eine schlichte gerade geschnittene Jeans und Springerstiefel der Marke "Doc Martins".
Körperlich ist er die Sorte Typ, die ich sofort als Türsteher anheuern würde, er ist gut und gerne einen Kopf größer als ich und ein Schrank von einem Kerl.
Er bleibt kurz im Eingang stehen und sieht sich um, fixiert mich und kommt schnurstracks auf mich zu, mit einem breiten Grinsen in seinem Mund und ruft mir auf halbem Weg entgegen: "Sorry mate, normalerweise verspäte ich mich nicht, aber ich bin sicher, den Londoner Verkehr hast du bereits kennen gelernt. Da bringt dir auch ein Taxi nichts. Ich bin Buster".
Er gibt mir seine Pranke von Hand und setzt sich neben mich auf einen Barhocker. Der Barkeeper nickt ihm zu, man kennt Buster hier und macht ihm ein Bier fertig. Während wir auf das Bier warten zieht Buster die Bomberjacke aus und darunter kommt ein "Fred Perry Polo" zum Vorschein, darüber selbstverständlich Hosenträger, "braces" wie er mir später erklären wird werden sie in der Szene genannt.
Buster nimmt seinen ersten Schluck Bier und schaut mich an: "Schieß los, was willst du wissen?"
Ich stelle ihn die Frage, die im Prinzip alles zusammenfasst, was er mir im Laufe der nächsten Tage erklärt und zeigt:

"Was bedeutet es für dich Skinhead zu sein?"

Buster überlegt einen langen Moment, dann beginnt er langsam, fast in Form von Psalmen seine Antwort zu geben: "Weißt du, Skinhead zu sein, das ist für mich zuallererst hier drin", und er zeigt mit einer seiner Löwenpranken auf sein Herz. "Ein Skinhead muss seine Doc Martins lieben" und wippt einmal mit den schwarzen Springerstiefeln, "darüber hinaus musst du Ska-Musik lieben und......die richtige Einstellung haben", er tippt sich dabei an den kahlen Kopf. "Definitiv musst du auf Fußball stehen.......du musst es lieben härter zu tanzen als jeder andere auf diesem Planeten, doch am wichtigsten ist es, eine antirassistische Einstellung zu haben. Weißt du uns, der wahren Skinheadbewegung ist das völlig klar, aber den Medien leider viel zu häufig nicht und einigen rechten Spinnern, die unseren Stil in Verruf bringen ebenso wenig. Sie mögen uns sehr ähnlich sehen, doch ich garantiere dir, dass sie nichts mit dem gemein haben, was es bedeutet ein Skinhead zu sein."

Buster bringt in seinem kurzen aber treffenden Plädoyer ziemlich genau auf den Punkt worum es eigentlich geht: Werte, Lebenseinstellungen und Falschinformationen, die in großem Stil verbreitet werden.

 
Seinen Ursprung hat die Skinheadszene Ende der 60er Jahre in East London. Zu dem Zeitpunkt war der Commonwealth ein Einwanderungsland und potentielle Anlaufstelle für viele Arbeitssuchende aus den ehemaligen Kolonien. Namentlich also viele Immigranten aus der Karibik, Indien, Pakistan und Westafrika. In Arbeitervierteln, wie sie zu der Zeit in East London vertreten waren, entstanden so soziale Brennpunkte, hier rieben Immigranten und einheimische Mittelklasse aufeinander, im stetigen Konkurrenzkampf um Wohnungen und Arbeitsplätze. Doch neben dieser Problematik ergaben sich auch gegenseitige kulturelle Einflüsse. Verschiedene Subkulturen trafen aufeinander und begannen, sich vorsichtig gegenseitig zu beschnuppern. Da wären zum Beispiel die "Rude Boys" zu nennen, eine jamaikanische Subkultur, die ihre Ursprünge in den Ghettos von Kingston hatte. "Rude", was wörtlich übersetzt als "rüpelig" zu verstehen war, war eine damals in den Ghettos hippe Bezeichnung für jemanden der cool war. Die Rude Boys, die damals in Jamaika eher zu den sozial schwächeren Schichten gehörten, kleideten sich modisch meist sehr modern, häufig trugen sie Anzüge und sogenannte "Pork pie hats", die bis heute noch sehr verbreitet in Jamaica sind.
Typische Rude Boys und Mods in London
Dem gegenüber stand die britische "Mod"-Bewegung. Anhänger der Modkultur waren meist auch Jugendliche der sozial schwachen Schichten Britanniens und orientierten sich modetechnisch, ähnlich wie die Rude Boys an modernen Modestils.

Beide Gruppen zeigten gemeinsame Interessen, was Musikrichtungen angeht, gerade Ska und Reggae waren in beiden Gruppierungen angesagt. Hieraus entstand der Beginn der Skinheadbewegung, der sich bewusst von den modebewussten Mods und auch den Hippies abgrenzte. Auch das Outfit der Skinheadbewegung grenzte sich von jenen Subkulturen ab, man stand zu seinem sozialen Status und bewegte sich kleidungstechnisch wieder in die Arbeiterklasse.
Wichtig ist hier noch einmal zu erwähnen, dass die frühe Skinheadbewegung politisch unorientiert war, es gab keine klare Ausrichtung oder Radikalisierung in eine bestimmte Richtung, der Grundgedanke war das gemeinsame Zelebrieren bestimmter Musikrichtungen und der Zusammenhalt einer sozialen Schicht. Wie bei fast allen Subkulturen begann gleichzeitig eine gewisse Uniformierung, die das heutige Bild eines Skinheads geschaffen hat.

Quelle: hier
"Weißt du, Laurel Aitken gilt als einer der Begründer der heutigen Ska-Musik. Er wanderte 1960 nach England aus um seiner Karriere einen Schub zu verpassen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Skinheadszene keinen wirklich eigenen Musiktrend, im Prinzip hörten die Skins dieselbe Musik wie die Punks und ein wenig Reggae, den die Rude Boys aus ihrer Heimat mitbrachten. Mit dem Ska gewann die Kultur neben ihren Vorlieben für bestimmte Kleidung auch ihre Seele."

Gerade hier sieht man einen krassen Kontrast, der nicht so richtig in das Bild der faschistischen Skinheadbewegung passen will.


"Skinheads mit rechtem Gedankengut sind keine Skinheads, das wäre ein Widerspruch in sich selbst. Die Skinheadbewegung war in ihren Wurzeln unpolitisch, jedem ohne Vorurteile gegen seine Herkunft zugänglich und eng verbunden mit Musik, die ihren Ursprung in Jamaika hatte. Gerade in London war es absolut nicht unüblich farbige Skins anzutreffen, da viele der damaligen Rude Boys Teil der Szene wurden. Warum die Neonazis auf die Idee kamen diese Szene zumindest optisch zu kopieren ist nur schwer zu verstehen."

Du sollst Skinheads nicht mit Nazis verwechseln


Ein markanter Dreh und Wendepunkt in der Entwicklung der Szene war mit Sicherheit der Werdegang der Band "Skrewdriver". Die Band gründete sich 1977 und spielte ursprünglich Punkrock ohne rassistische Tendenzen und erfreute sich zunehmender Beliebtheit.
Nach einer Auflösung der ursprünglichen Bandbesetzung begann Frontman und Leadgittarist Ian Stuart Donaldson sich vermehrt für die rechte British National Party (BNP) einzusetzen und tauchte ab 1982 erneut unter dem Namen Skrewdriver auf. Die jetzt gelieferten Texte waren offen rassistisch, die Single "White Power" wurde Schlachtruf der rechten Szene und Stuart gründete darüber hinaus das "Blood and Honour" Netzwerk, ein bis heute aktives System zur Organisation von Auftritten rechter Bands und Verbreitung nationalsozialistischer Medien.

Die Spaltung der Szene war vollzogen und mit ihr begann auch die Radikalisierung beider Lager.

"Es war wirklich nicht schön mit anzusehen. Die Lager spalteten sich in linke und rechte Skins sowie den unpolitischen, die sich solidarisch mit der Arbeiterklasse stellten und für politische Streitereien nicht viel übrig hatten. Die rechten Parteien erkannten das Potential der Anhängerschaft und nutzten das Blood and Honour Netzwerk um ihre rassistisch geprägte Musik an den Mann zu bringen."

Durch die zunehmende Gewaltbereitschaft der Neonazis, forciert durch Gründung von militanten Kampfgruppen unter dem Namen Combat 18 wurden zunehmend auch die Medien aufmerksam auf die Geschehnisse.

Sowohl Fernsehsender als auch Zeitungen stürzten sich wie hungrige Wölfe auf die Skinheadbewegung.

Schnell ging man dazu über in den üblichen Boulevardblättern nur noch mit "Skinheads verprügeln Ausländer" zu titeln und ähnlich wie der Bambi-Mythos festigte sich im Kollektivgedächtnis die unmittelbare Verknüpfung zwischen Rechtsextremer Gewalt und der Skinheadszene. Die rechte Skinheadszene gewann schnell den Ruf moderner SA-Schlägertrupps, die leidtragenden waren die unpolitischen sowie linken Skins, nicht selten wurden diese auch heute noch aufs Übelste beschimpft und attackiert.

Hinzu zu all dem kam, dass viele Skinheads aufgrund ihrer Vorliebe für den englischen Fußball in die Hooligan Szene rutschten, die sich schon seit den 60er Jahren in England etabliert hatte und sich wachsender Beliebtheit erfreute. Durch Ausschreitungen und Fehden zwischen den verschiedenen Vereinsanhängern bestimmen auch sie bis heute negativ die Schlagzeilen, erhalten oft mehr Aufmerksamkeit als die eigentlichen Spiele und halfen somit auch, den Stereotyp des gewaltbereiten bösartigen Skinheads zu festigen.

"Versteh mich nicht falsch, auch die linken Skins sind durchaus bereit Gewalt anzuwenden wenn es darum geht Naziskins in ihre Schranken zu weisen. Es ging auch niemals darum irgendetwas herunterzuspielen oder schön zu reden. Die ursprünglichen Anhänger der Skinheadbewegung fühlten sich nur verraten, da das was sie lieben und teils ihr Leben lang lebten nun beschmutzt wurde. Ich kenne viele befreundete Skins, die es langsam auch leid sind sich ständig rechtfertigen zu müssen warum sie so aussehen und dass sie nicht rechts eingestellt sind."

SHARP Abzeichen
Natürlich gab es Gegenbewegungen, die gegen diese Stigmatisierung ankämpften. So zum Beispiel die aus Amerika stammende SHARP-Bewegung. SHARP stand für "Skinheads against racial prejudice", übersetzt Skinheads gegen Rassenvorurteile. Die Idee begann 1988 und war bald eine internationale Bewegung unterschiedlicher Skinheadgruppen, die gemeinsam darauf aufmerksam machen wollen, dass eben nicht jeder Skinhead politisch rechts orientiert ist.


"Man versuchte den Stempel, den die Szene unfreiwillig abbekam wieder los zu werden und Aufklärungsarbeit zu leisten, da viele Mythen über bestimmte Kleidungsmarken und Kleidungsarten existierten, die einfach nicht der Wahrheit entsprachen. Sei es die Farbe der Schnürsenkel, die Fred Perry Polos oder die Springerstiefel, alles gab es schon lange vor der politischen Spaltung und nichts davon ist eindeutig einer Richtung zuzuordnen."


1 Uhr morgens East London Subway

Ich baumel an einem Haltegriff der U-Bahn und bin müde und fertig. Buster sitzt vor mir und grinst mich an: "Bist du dir sicher, dass du morgen noch zusammenkriegst was ich dir heute alles erzählt habe?" Ich starre ihn mit einem glasigen Blick an und versuche nicht aufzustoßen, während ich ihm sage: "Ich bin ein Freund von Erfahrungen aus erster Hand. Außerdem sind wir doch gerade auf dem Weg zu einem Ska-Konzert oder? Auf Ska tanzt es sich leichter wenn ich volltrunken bin!" Buster lacht laut und klopft mir auf die Schulter. "Welche Band sehen wir denn überhaupt?", frage ich. "Meine", sagt Buster und geht voran in den abgelegen Club, den heute Abend Bad Manners mit ihrer Anwesenheit beglücken werden.

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