"Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran" |
Gemütlich wird also der alte Palischaal vom Dachboden geholt, gut sieht der noch aus, ein bisschen blutig vom letzten Jahr, macht aber nichts, Mamas Waschmaschine packt das schon.
Aber wo liegt nochmal der Baseballschläger, den Onkel Bernd uns letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hat? Ah, da ist er ja, direkt neben dem Schlagring, es geht doch nichts über Ordnung auf dem Dachboden.
Dann wäre ja eigentlich alles beisammen.....ach fast vergessen, noch schnell in den Keller und nachschauen ob noch genug Flaschenpfand da ist. Denn wie wir ja alle wissen:
Recycling der modernen Jugendkultur |
Jetzt noch kurz Omi um das Geld fürs Bahnticket anschnorren und dann kann unser kleiner Stereotyp "Kevin" auch sofort mit einer Platzreservierung im ICE seinem Kurzurlaub in Berlin Kreuzberg antreten.
Schnell noch über Facebook geposted: "Kreuzberger Nächte sind lang" und ab geht´s.
Schließlich muss man ja einmal im Jahr dem Staat klarmachen, dass Kapital ja mal gar nicht geht!!! Die 30 Okken fürs Ticket hat die Oma übrigens gern gegeben.
Und während den Polizeibeamten die Pflastersteine um die Ohren fliegen wird denen hoffentlich bald mal klar, dass ein Polizeistaat, wie Deutschland einer ist so nicht weiter bestehen wird.
Und falls die Kevin festnehmen ist das gar kein Problem, der Papa wird ihn da schon raushauen, schließlich ist der ja Hauptkommissar bei der Polizei!
Sie sehen schon, Kevins politisches Engagement übertrifft den Durchschnittsbürger bei Weitem und die Argumentationskette für seine Motivationen würde jeder Talkshow der privaten Sender standhalten.
Schlimme Bilder hat der Kevin im Fernsehen gesehen, von Polizisten, die da Demonstranten niederknüppeln und sich überhaupt aggressiv aufführen.
Das macht Kevin wütend und er entschließt sich, dieses Jahr doppelt so viele Pflastersteine aus dem Boden zu kloppen um diesen Vertretern der Staatsgewalt endlich in den Schädel zu donnern, dass Gewalt einfach keine Lösung ist. Hoffentlich werden die das dieses Jahr einsehen.
"I´m protesting in the rain, just protesting in the rain..." |
Aufgrund seines Punker Outfits schließe ich, dass er politisch interessiert ist, und Kevin bejaht das und stellt fest, dass Kapital scheiße ist. Ich lache und frage ob er gerne "Vera am Mittag" schaut, Kevin nickt begeistert und konstatiert, dem deutschen Mittelstand ging es noch niemals so schlecht wie heute.
Während er das sagt suche ich verzweifelt in meinem Rucksack nach einem Leckerli für seinen so fleißig auswendig gelernten Satz, enttäuscht breche ich die Suche ab.
Ob er den auch an den Protesten in Kreuzberg teilnehmen will frage ich, Kevin nickt wieder heftig und ich beginne mich zu fragen wie teuer eigentlich Hundetickets für die Bahn sind und wie viel Geld Kevin hätte sparen können, aber was solls, Kapital findet er ja eh scheiße.
Während er so vor sich hin blubbert verliere ich mich in meinen eigenen Gedanken. Präsenz gegen Rassismus und Rechtspopulisten zu zeigen ist ja im Prinzip verpflichtend für jeden Verfechter der Demokratie, doch wenn man sich Demos gegen Rechts ansieht wird eben wieder klar, dass das nur die harte Theorie ist.
Die politischen Hintergründe der Maiunruhen sind in der heutigen Zeit so fragwürdig wie sie verworren sind.
Längst hat sich der Tag der Arbeit als festes Krawalldatum der Linksautonomen entwickelt und ich wage zu behaupten, dass den Wenigsten überhaupt noch klar ist, woher die Ursprünge dieser Bewegung rühren und das nie beabsichtigt war, daraus einen festen Protesttag entstehen zu lassen.
Was bleibt ist ein Tag des Chaos, die wenigen Kundgebungen, die politisch und informativ sind rücken völlig in den Hintergrund, sobald die ersten Fensterscheiben eingeworfen werden und die ersten Autos brennen. Man hat unlängst das Gefühl, dass es wie bei einem Fußballspiel zugeht, Gastmannschaft die Linksautonomen und die Hundertschaften mit Heimvorteil, ein alljährliches Lokalderby mit mehr oder weniger klarem Ausgang.
Hat die linke Szene einen solchen Tag wirklich nötig? Sollte man solche Gewaltausuferungen von linker Seite tolerieren, während wir so strikt und politisch korrekt sind, wenn rechte Gewalt in den Medien auftaucht? Ist nicht der einzig sinnvolle Schluss am Ende dieser Rechnung, dass man Gewalt weder von linker noch von rechter Seite tolerieren oder unterstützen sollte? Ganz offensichtlich weit gefehlt.
Unser Kevin bewegt unsere Politiker mit Sicherheit nicht zum Umdenken, nur weil er die Fensterscheiben eines kleinen Imbiss Shops im SO36 zertrümmert. Das einzige, was er hiermit bewirkt ist, dass er den Besitzer des Ladens in finanzielle Schwierigkeiten kommt unabhängig davon, was er vom Staat hält, konstruktive Kritik sieht anders aus.
Berlin-Kreuzberg, Mai 2001 |
Dass die Beamten der Hundertschaft es vielleicht genauso falsch wie unangenehm empfinden, offensichtlich rechten und demokratiefeindlichen Parteien Raum und Zeit für ihre Hetzkampagnen zu ermöglichen rückt hier schnell in den Hintergrund. Nicht selten erblickt man auf den Gegendemonstrationen erzkonservative Bürger unseres Staates, die eine Tirade von Hass ebenjenen Beamten entgegenbringen, die letzten Endes nur ihren Job machen, denn eine Wahl haben sie nicht.
Nachdem ich gedankenverloren wieder zu Kevin rüberschaue sieht der mich an, als wäre ich die Reinkarnation von Mahatma Ghandi. Ich steige aus der Bahn, bleibe in der Tür nochmal stehen um Kevin etwas zu sagen, steige dann aber doch aus. Spätestens wenn er in München ist, wird er wohl feststellen, dass er den falschen Zug genommen hat und abgesehen davon kann er ja direkt nach Österreich weiterfahren und da mal auf den Putz hauen. Ich habe gehört Kapital, Faschisten und Staatsformen gibt es auch da unten. Und Kabelfernsehen auch!
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